„Auge der deutschen Einheit“, „Auge der Revolution“ – das sind nur zwei Begriffe, mit denen Daniel Biskup in den Medien betitelt wird. Der Fotojournalist selbst lässt lieber seine Bilder sprechen. Am 24. September in Warendorf und am 25. September in Oelde ist er mit seiner Multivisionsshow zum Thema „1990-2020. 30 Jahre Wiedervereinigung“ zu Gast. Was die Besucher dort erwartet, hat Biskup vorab im „Glocke“-Interview verraten.
Kai Diekmann, ehemaliger Chefredakteur der „Bild“-Zeitung und inzwischen ein guter Freund von Ihnen, hat Sie einmal als „Auge der deutschen Einheit“ bezeichnet. Würden Sie das unterschreiben?
Daniel Biskup: Der „Spiegel hat mich auch einmal das „Auge der Revolution“ genannt. Die Medien verwenden natürlich gerne griffige Schlagzeilen, ich selbst sehe das etwas differenzierter. Ich hatte das Glück fast alles, was in dieser Zeit passiert ist, zu fotografieren. Ich war damals 26 Jahre alt, habe Geschichte studiert und hatte einfach auch Zeit dafür. Ich war ja eigentlich nur für die Lokalzeitung, also für die „Augsburger Allgemeine“ und die „Süddeutsche Zeitung“, unterwegs und konnte mir da selbst meine Termine legen. Ich war damals mein eigener Chefredakteur. Keine große Zeitung hätte damals einen Studenten zu diesen Terminen geschickt, die ja auch nicht vorhersehbar waren. Der 9. November war ja nicht drei Wochen vorher im Terminkalender angestrichen. Da musste man reagieren. So habe ich praktisch immer reagiert, nicht gezögert, mich ins Auto gesetzt und bin aus Augsburg nach Berlin gefahren. Nach dem 9. November habe ich dann noch eine Wohnung in Ostberlin gehabt und die Zeit nach der Wende dort fotografiert. Nebenbei habe ich weiter studiert.
Als Student waren Sie zeitlich flexibel und immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort…
Biskup: Genau, man musste flexibel sein und viel Radio hören. Radio war damals das Medium der Stunde. Ich habe Nachrichten gehört, mich ins Auto gesetzt und bin losgefahren. Für mich war das damals einfach so spannend, weil ich wusste, es passiert etwas Einmaliges. Ich bin ja nicht nur Fotograf, sondern habe auch noch ein großes Interesse an zeithistorischen Verläufen. Ich habe das für mich und die Zukunft gemacht, das hat mir damals erst einmal kein Geld gebracht. Ich hätte mir damals nicht träumen lassen, dass ich 30 Jahre später Ausstellungen mache und Bücher herausbringe.
Die Wiedervereinigung ist jetzt 30 Jahre her. Sie haben viele Menschen mit Ihren Bildern aus dieser Zeit bewegt. Welcher Moment ist Ihnen persönlich besonders im Gedächtnis geblieben?
Biskup: Ich habe damals schon relativ früh gespürt, dass sich wirklich etwas verändern kann, als immer mehr Menschen auf die Straßen gegangen sind. Da habe ich meinen Sensor gen Osten gerichtet, bin nach Budapest gefahren und habe dort im Sommer 1989 die DDR-Flüchtlinge fotografiert. Das war für mich der Startschuss für eine sehr lange Reise, die bis heute andauert. Ich habe ja nie damit aufgehört, das zu dokumentieren.
Ein Bild sagt oft mehr als 1000 Worte – was sagen Ihre Bilder über die Wiedervereinigung und die Zeit danach?
Biskup: Ich kann ja nur das zitieren, was die Leute sagen: Viele Besucher aus dem Westen sagen nach dem Besuch meiner Ausstellung, sie sind froh, dass sie im Westen aufgewachsen sind. Sie mussten sich nach der Wende nicht umstellen und mit den durch die Umstellung verursachten Problemen kämpfen. Für die Menschen im Osten gab es eine Währungsumstellung. Viele sind von heute auf morgen arbeitslos geworden. Sie hatten plötzlich Sorgen, die sie sich vorher nie haben vorstellen können. In meinen Fotos zeige ich diese Realität der Nachwendezeit. Die Multivisionsshow startet 1989 mit den Flüchtlingen in Ungarn und endet 1995. Eventuell füge ich noch ein paar Bilder hinzu, welche die heutige Situaton zeigen. Für ein Buchprojekt des Bundesverkehrsministeriums war ich grad zweieinhalb Monate in Ostdeutschland unterwegs und habe dort Menschen, Autobahnen und ICE-Strecken fotografiert.
Sie haben ja auch während des Lockdowns viele Bilder aufgenommen.
Biskup: Genau, ich dokumentiere seit dem 12. März die Corona-Pandemie in Deutschland. Dadurch habe ich Instagram für mich entdeckt und führe dort ein historisches Tagebuch in Bildern. Mein erstes Bild dort habe ich an Tag eins der Ausgangsbeschränkungen hochgeladen. Für mich war von Anfang an klar, dass man das dokumentieren muss.
Man merkt sehr deutlich, dass das Fotografieren mehr als nur ein Job für Sie ist. Ist es überhaupt schon mal vorgekommen, dass Sie Ihre Kamera nicht dabei hatten?
Biskup: Im Urlaub passiert das schon mal, aber eigentlich fotografiere ich jeden Tag. Ich empfinde das Fotografieren ja nicht als Arbeit, es ist eine Berufung. Ich habe ständig verschiedene Themen im Kopf und in jeder Region gibt es andere Bilder. Ich bin beispielsweise von Essen zurück nach Augsburg gefahren und auf dem Weg habe ich kurz hinter Stuttgart eine Corona-Teststation passiert. Da habe ich dann angehalten und Fotos gemacht. Genauso habe ich vor 30 Jahren auch fotografiert. Durch diese Vorgehensweise sind auch die vielen Bücher entstanden.
Erst kürzlich sind Bildbände über die Wendejahre in Ostdeutschland, aber auch über Karl Lagerfeld und Angela Merkel erschienen. Auch Donald Trump, Barack Obama oder Katy Perry durften Sie schon mal ablichten. Wer ist Ihnen da besonders in Erinnerung geblieben?
Biskup: Mit Katy Perry habe ich lange über Angela Merkel gesprochen. Sie wollte wissen, wie sie so ist, und war generell sehr interessiert an Politik. Angela Merkel selbst kenne ich seit 30 Jahren. Sie ist immer sehr fokussiert und verschwendet keine Zeit. Das war immer schon so. Donald Trump war sehr pünktlich, als ich ihn getroffen habe und sehr freundlich. Emmanuel Macron setzt noch einen drauf und gibt dir das Gefühl, dass du in dem Moment das Wichtigste in seinem Leben bist.
Für Karl Lagerfeld haben Sie eine Nacht lang eine wichtige Rolle gespielt.
Biskup: Für mich war das eine sehr aufregende Nacht. Ich hatte damals für die „Welt am Sonntag“ einen Fototermin mit Karl Lagerfeld, der für morgens in einem Hotel angesetzt war, wollte ihn aber viel lieber schon am Abend vorher nach seiner Vernissage in der Stadt fotografieren. Alle Verantwortlichen, die ich in meine Pläne eingeweiht hatte, haben gesagt: Das macht der nie. Ich habe ihn trotzdem in dem Bewusstsein gefragt, dass er immer nein sagen kann – aber eben auch ja. Letzten Endes habe ich dann abends mit Karl Lagerfeld ein Shooting in der Berliner U-Bahn-Station Torstraße gemacht. Seine ganze Entourage war damals mehr als überrascht, dass Monsieur Lagerfeld einfach so mit einem wildfremden, Mitte 30-jährigen Fotografen mitgeht. Wir haben dann die Treppen und die Plattform als Laufsteg genutzt. Danach sind wir noch durch die Straßen von Berlin gezogen und immer, wenn ich eine Idee hatte, hat Karl Lagerfeld mitgemacht. Im Nahhinein glaube ich, dass er damals neugierig war, was ich mache und wie ich das umsetze und hat sich dadurch sogar für seine späteren Shows inspirieren lassen.
Sie gehören zu den bedeutendsten deutschen Fotojournalisten. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Biskup: Ich begegne jedem Menschen mit Respekt, dann bekommt man oft, was man haben möchte.
Multivisionsshow mit Daniel Biskup “1990 – 2020. 30 Jahre Wiedervereinigung”
Zusammen mit der Volkshochschule (VHS) Warendorf lädt der Initiativkreis Wirtschaft Oelde (iwo) e.V. zu einer Multivisionsshow mit dem Fotojournalisten Daniel Biskup zum Thema “1990-2020. 30 Jahre Wiedervereinigung” ein. Der erste Termin findet am Donnerstag, 24. September, 19 Uhr, im Sophiensaal in Warendorf statt, am Freitag, 25. September, 19 Uhr, ist der Fotojournalist dann im Oelder Bürgerhaus zu Gast. Möglich gemacht hat die Sparkasse Münsterland Ost als Hauptsponsor für beide Veranstaltungen.
Teilnahme kostenlos
Die Teilnahme an beiden Terminen ist kostenlos, eine vorherige Anmeldung ist coronabedingt aber unbedingt erforderlich. Für den Warendorfer Termin übernimmt das die VHS Warendorf, Telefon 02582/93840, E-Mail: vorwald@vhs-warendorf.de. Wer Interesse an der Veranstaltung in Oelde hat, kann sich beim iwo, Telefon 02522/5908933, E-Mail: info@iw-oelde.de melden oder auch spontan vorbeikommen.
Daniel Biskup
Daniel Biskup wurde 1962 in Bonn geboren. Das Studium der Politik und Geschichte brach er nach der bestandenen Magistervorprüfung aus Liebe zur Fotografie ab. 1982 erschien sein erstes Zeitungsfoto auf der Titelseite der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“. Mit dem Fall der Mauer 1989 konzentrierte sich der Autodidakt auf die radikalen Veränderungen in Ostdeutschland, der Sowjetunion und im früheren Jugoslawien. Seine Bilder berichten vom Leben und Überleben der Menschen nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa. In den letzten Jahren hat Daniel Biskup weltweit Prominente aus Politik, Kultur und Wirtschaft porträtiert. Darunter Emmanuel Macron,Wladimir Putin, Donald Trump, Karl Lagerfeld, Christo, Bill Gates, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg. Mehr als 20 Jahre begleitete er Bundeskanzler Helmut Kohl und seit 1990 fotografiert der immer wieder Bundeskanzlerin Angela Merkel.